
Es ist erstaunlich, was zu diesem kleinen Wort bestehend aus vier Buchstaben „Nein“ für Bücher, wissenschaftliche sowie psychologische Studien, Videos oder Seminarangebote im deutschsprachigen Raum gibt. Ganze 143 Millionen Einträge zum Thema „Nein sagen“ gibt es momentan bei Google. Es sieht daher nach einem schwerwiegenden und wichtigen Thema aus, das ich gern diesem Blog-Artikel widmen möchte.
Wir kennen mit Sicherheit diese Situationen: Ein Ja kommt schneller über unsere Lippen als ein Nein. Und bevor man sich versieht, wurde man von den Vertretern einer Organisation auf der Straße angesprochen und in ein intensives Gespräch verwickelt. Obwohl man sich geschworen hat, nie wieder sich einwickeln zu lassen, steht man mittendrin und überlegt sich, wie man sich aus dieser Situation nun selbst rettet und den Stift zur Unterschrift einer Spende oder Sonstigem nicht vorzeitig zuckt. Doch warum fällt uns oft schwer Nein zu sagen?
Bei dem oberen Beispiel kann man noch leicht entkommen, denn der Vertreter stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus unserem Bekannten-, Kollegen- oder Freundeskreis. Hier ist ein Nein ohne große Folgen leichter gesagt. Sollte es sich jedoch um einen Freund, Verwandten oder Kollegen handeln, der uns um einen Gefallen bittet, verändert sich plötzlich unser Sprachschatz enorm. „Was wird der andere bloß von mir denken?“, „Ich möchte ihn/sie nicht verletzten.“, „Ich traue mich nicht, weil die anderen vermutlich mir das übelnehmen.“
Wir meinen Nein, sagen aber Ja, und fühlen uns nachher verärgert, dass wir diesmal wieder weich wurden und eigenen Standpunkt nicht vertreten konnten. Wenn wir Nein sagen, dann haben wir oft ein schlechtes Gewissen, befürchten eine Kränkung des Gegenübers, einen anstehenden Beziehungsbruch oder eine Schwierigkeit, die auf einen zukommt, wenn wir uns dem Ja nicht fügen. Daher hoffen wir den Ärger mit den anderen zu ersparen und sagen lieber Ja, obwohl wir eigentlich Nein meinen.
Diese Vorgehensweise ist auf Dauer nicht gesund. Denn wir versetzen unseren Körper und vor allem unsere Psyche bewusst oder unbewusst in eine Stresssituation. Die Anforderung des Gegenübers (Äußerung einer Bitte mit der Erwartung einer Ja-Antwort) stimmt mit unserer eigenen Handlungsreaktion (Ja-Antwort auf die Bitte des Gegenübers, obwohl Nein-Antwort gemeint ist) nicht überein. Bei dieser Nicht-Übereinstimmung unserer physischen Reaktion (Ja-Antwort) mit dem Kognitiven (Nein-Meinung) bestrafen wir uns selbst, und zwar mit dem schlechten Gewissen. Ein schlechtes Gewissen ist bekanntlich ein unangenehmes Schuldgefühl und bedeutet gleichzeitig eine Diskrepanz zwischen den inneren Werten und den ausgeführten Handlungen.
Es klingt paradox, dass wir uns dabei selbst bestrafen. Aber so ist es: Mit jedem Ja, obwohl wir Nein meinen, nehmen wir Abstand zu uns selbst, zu unseren Werten, Glaubenssätzen, zu unseren Überzeugungen. Wir entfremden und entfernen uns von unserem wahren Kern, von uns als Individuum. Auf lange Sicht gefährden wir dadurch unsere eigene Gesundheit, denn wir spielen etwas vor, was uns nicht entspricht.
Ein Nein klingt in vielen Ohren als eine totale Ablehnung und als harmoniestörend. Aber ist ein Nein mit einer kurzen Begründung ebenfalls extrem ablehnend? Es gibt zahlreiche Strategien, ein „diplomatisches“ und „freundliches“ Nein zu sagen. Hierzu gibt es mehr Ratgeber als ich in meinem Blog zusammenfassen könnte. Ein paar Beispiele, die ich aus eigener Erfahrung anführen kann, sind:
- Um Bedenkzeit bitten: Man kann das Gegenüber um Bedenkzeit bitten, die Antwort zu geben – denn das verschafft Raum und klaren Kopf über die Antwort.
- Alternativvorschlag anbringen: Man kann einen alternativen Vorschlag als Antwort formulieren und somit dem Gegenüber zu verstehen geben, dass seine Bitte nicht vollkommen abgeschlagen wird, sondern momentan nicht in den Zeitkalender passt. Denn ein Nein bedeutet nicht „nie“.
- Wissen, dass es mir erlaubt ist, Nein sagen zu dürfen: Nein zu sagen ist absolut normal und bedeutet kein Weltuntergang. Es ist gesund, an sich zu denken. Ja, es ist gesund ein Egoist zu sein 😊
Schließlich sollten wir unterscheiden, wenn jemand tatsächlich Hilfestellung bzw. Unterstützung benötigt oder einen ausnutzt. Bestimmt kennen Sie solche Beziehungen ebenfalls. Man gibt und gibt und gibt, und ist noch so gutmütig, nichts zurück zu erwarten. Solche Beziehungen kosten Zeit und Nerven. Dass man ausgenutzt wird, ist oft schwer zu erkennen. Meistens wollen wir uns nicht eingestehen, dass wir ausgenutzt werden. Sollten Sie Verdacht haben, dass Sie jemand ausnutzt und sich ihres Urteils nicht sicher sind, holen Sie eine weitere Person dazu, die die Situation „nüchtern“ beurteilen könnte. Vorteil: Beim Bruch einer energieraubenden Beziehung fühlt man sich nach einer gewissen Zeit wieder top fit, denn man hat mehr Zeit und Kraft für sich und die wahren Freunde.
Zudem sollten wir lernen, Grenzen zu setzen, für sich und seine Bedürfnisse und somit für seine psychische Gesundheit einstehen. Ebenfalls ist es wichtig, eventuelle Beziehungsbrüche in Kauf nehmen zu können. Denn eine starke Beziehung geht durch ein Nein nicht einfach kaputt. Wichtig ist, dass man bei jeder Antwort man selbst bleibt, und nichts verspricht, was nicht eingehalten werden kann. So schafft man vertrauensvolle, langfristige und gesunde Beziehungen mit gegenseitigem Respekt für einander. Seien Sie selbstbewusster und egoistischer: Nein sagen ist ein Ja an sich selbst.
Und wie stehen Sie zum Thema Nein sagen?
Oh ja…das Thema „nein-sagen“ war auch meins…bis ein Dozent mal nebenbei fallen ließ, dass das doch gar nicht schwer sei. Er nannte seine Formel: „ja-nein-ja“, und die habe ich mir eingeprägt. Beispiel: „Das finde ich aber sehr lieb, dass du dabei an mich gedacht hast. Leider kann ich es zeitlich nicht einrichten. Sprich mich gerne beim nächsten Mal wieder an.“ Ich fahre bisher gut damit. Glasklar, aber nicht eiskalt :-).
Das ist wirklich ein klassisches Problem und leider wird der Umgang mit den eigenen Erwartungen, den Erwartungen der Anderen und den Erwartungen an die Erwartungen nicht gelehrt. Somit haben manche das Glück zu lernen, wie man *Ja zu sich sagt* und nicht nur *Nein zu dem Anderen*. Schöner Artikel 🙂