Stressbewältigung: Ich bin mir wICHtig!

Deutschland ist ein unentspanntes Land. Fast 2/3 aller Arbeitnehmer fühlen sich gestresst. Die Hälfte aller Beschäftigten gibt an, dass sie mäßig bis hoch Burnout-gefährdet sind und klagen über körperliches und psychisches Unwohlsein. Stressfaktoren lauern jedoch nicht nur im „Außen“. Dazu zählen die ausgeübte Arbeit, damit verbundener Arbeitsdruck, menschliche Konflikte, Schulden usw. Der eigentliche Stress entsteht bekanntlich im Kopf, also, im Inneren.

Sätze wie „Ich muss immer perfekt sein.“, „Ich darf mir keine Schwäche erlauben.“, „Mein Aussehen muss immer makellos sein.“ treiben uns meist in den Wahnsinn. Wir stehen uns selbst im Weg und fokussieren uns auf unsere eigenen Schwächen, wenn wir einige Situationen Revue passieren lassen. Nahezu jeder von uns hat solche „inneren Antreiber“ – eine innere, unbewusste Stimme, die uns einerseits antreibt, indem sie den Druck erzeugt, uns zu bewegen, uns am besten in die Szene zu setzen, uns gut im Gespräch auszudrücken und zu präsentieren. Auf der anderen Seite hebeln uns solche inneren Glaubenssätze, wenn sie negativ formuliert sind, innerlich aus. Sie versetzen uns in einen Kampfmodus zu uns selbst, insbesondere wenn solche inneren Antreiber ständig an sind.

Schauen wir uns die Formulierung „Ich muss immer perfekt sein.“ an:
Zunächst ist das Modalverb „muss“ ein Verb, das permanent Druck ausübt, auch wenn dies unbewusst geschieht. Wenn ich etwas muss, dann handelt es sich um einen Zwang. Und wenn ich etwas unter Zwang, und nicht aus eigenem Antrieb ausübe, dann entwickelt sich diese Handlung langfristig gesehen zu einer Last. Zwang und Belastung sind nie etwas Positives, denn sie LASTEN schwer auf unserem Gemüt und sind auf Dauer nicht motivierend. Ein „Muss“ sollte daher gut überlegt werden, bevor es ausgesprochen wird. Was an dieser Stelle helfen kann, ist die Frage zu stellen: Muss ich es wirklich? Wo kommt der Zwang genau her? Außerhalb (vom Chef, von Kollegen) oder erzeuge ich mir selbst den (inneren) Druck? Die Erkenntnis, diese Unterscheidung zu gewinnen, kann uns bereits einige Schritte weiterhelfen.

Nächstes Wörtchen, das in unserem Sprachgebrauch (immer) bei Anwendungs-Überdosierung einen Druck erzeugt – nicht nur in uns, sondern auch bei unserem Gegenüber – ist das Temporaladverb „immer“. „Immer“ lässt bekanntlich keine Ausnahmen zu und „[…] übertreibt die tatsächliche Größe des Problems.“ (Manfred Prior, S. 29) Das Wort „immer“ in Verbindung mit einem Satz oder Situation lässt die Angelegenheit schlimmer aussehen als sie tatsächlich ist. Dies ist sehr bitter, insbesondere wenn eine Rückmeldung / Feedback vom Kollegen oder eigenem Chef kommt, mit diesem „kleinen“, aber wirksamen Wörtchen versehen. Unbewusst lässt es uns, mit einem unangenehmen Gefühl zurück. Was hilft uns dabei, „immer“ zu vermeiden? Auf sich bezogen: Wenn ich denke, dass ich etwas „immer“ mache: Sollte ich mir die Frage stellen – Tue ich es wirklich immer? Gibt es Ausnahmen? Wann habe ich es z.B. nicht getan? Lasse ich auch diese Ausnahmen zu? Ebenfalls sollte ich die Frage nach den Ausnahmen meinem Gegenüber stellen und somit das Wörtchen „immer“ entkräften. Denn „immer“ gibt es nicht. „Immer“ erzeugt nur Kopfzerbrechen und ungewollten Druck. Entkräften Sie das Wörtchen „immer“ und lassen Sie etwas Entspannung in Ihr Leben einziehen.

Entspannung in Ihr Leben zuzulassen, lässt weitere Vorstellung – „perfekt sein“ und „perfekt zu funktionieren“ – meist nicht zu. Perfektionismus ist nicht angeboren, Perfektionismus ist angelernt. Was ist das „Perfekt sein“? Beim „Perfekt sein“ steht oft ein Vergleich zu einem erstrebenswerten Zustand, Person, Situation etc. gegenüber. Bei diesem Vergleich setzen wir Annahmen fest, die häufig einer märchenhaften Welt entsprungen sind. Denken wir an unsere Kindheit, an die Märchen, die uns unsere Eltern vorgelesen haben oder auch Disney Filme, die wir als Kinder so gern angeschaut haben. Heute lachen wir oft über die Filme, die ein „perfektes“ Happy-End suggerieren. Dennoch wissen wir insgeheim, dass ein „perfektes“ Leben, „perfekte“ Präsentation, „perfekten“ Menschen einfach nicht gibt. Und das ist das Schöne dran! Unser Leben ist nicht perfekt. Unser Leben möchte uns lehren, entwickeln und zeigen, wie wir aus dem oft sauren, bitteren Milieu das Körnchen Lebensfreude und Glück für eigenes Leben gewinnen.

Hierzu ist es essenziell, das Wichtigste nicht zu vergessen: Sich selbst. Denn der wichtigste Mensch in unserem Leben, ist nicht mein Chef, mein Kollege, mein Nachbar oder mein Partner, sondern ICH. Auch wenn dieser Satz egoistisch klingen mag, es entspricht der Wahrheit. Wir kümmern uns unentwegt über die anderen, über die Äußerungen, die uns von außen erreichen, über die Verpflichtungen, die sich aus dem „Muss“-Hamsterrad entstehen und bringen uns auf diese Weise permanent aus dem Gleichgewicht. Wenn wir uns selbst die Liebe schenken, die unseren Körper und Psyche gesund hält, dann haben wir ein erfülltes, glückliches und selbstbestimmtes Leben. Wenn wir selbst zufrieden sind und uns somit im Gleichgewicht mit unserem Ich befinden, dann sind wir auch sozial auf dem höchsten Niveau und können die Liebe weiterschenken.

Wie stehen Sie zu Ihrem Ich? Ich freue mich über Ihren Kommentar.

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Dieser Beitrag hat 6 Kommentare

  1. Ute Holzgrefe

    Genau so ist es. Vielen Dank für die tollen Impulse.

  2. Nico

    Kein Partner, der noch so gut zu mir passt, kann mich glücklich machen, wenn ich nicht mit mir selbst zufrieden bin. Ich merke es an mir selbst: Wenn ich gestresst bin, dann nervt mich alles. Der Verkehr, die Kassiererin an der Kasse, sogar der Partner. Auch wenn sich alle Mühe geben, mir alles Recht zu machen, wird es nicht funktionieren, wenn ich selbst nicht entspannt bin.
    Danke für den Beitrag 🙂

  3. Frederike

    Liebe Irene,
    Danke für den Denkanstoß! Dein Beitrag hat in mir ein kleine Selbstreflexion ausgelöst.

    1. Schillout

      Hallo Frederike,
      freut mich sehr, dass der Artikel Dir einen Nutzen gebracht hat und ein neuer Impuls sein durfte. Bin für jede Rückmeldung dankbar.
      Liebe Grüße, Irene

  4. Andrea Pierus

    Liebe Irene, das hast du wunderbar auf den Punkt gebracht – und du hast sehr motivierende Gedanken formuliert – ich werde das gleich zum Anlass nehmen, mir wieder einmal meine inneren Antreiber vor Augen zu führen. Danke!

    1. Schillout

      Freut mich sehr, liebe Andrea! Danke für Deine Rückmeldung. Du bringst mich ebenfalls auf eine tolle Idee für den/die nächsten Beiträge 😉 Eine stressfreie Vorweihnachtszeit für Dich und Deine Familie.

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